Mauerfall mit Migrationshintergrund

Impressionen aus Interviews mit Migrantinnen (Juli 2014)

Im Folgenden werden Impressionen aus qualitativen Interviews mit Migrantinnen zum Mauerfall überblicksartig vermittelt. Die Aussagen sind hier zusammengefasst und im Stil wörtlicher Rede wiedergegeben. Es handelt sich dabei nicht um die Originalsätze, sondern deren sinngemäße Wiederspiegelung. Die wortwörtlichen Originalaussagen sind in den leicht überarbeiteten Transkripten nachzulesen.
Die Interviews wurden im Sommersemester 2014 von drei Studentinnen im Rahmen des Seminars „Qualitative Sozialforschung“ an der Leibniz Universität Hannover durchgeführt.

Gabriela, geboren in Griechenland, 1978 zum Studium in die BRD gekommen & heute als Übersetzerin tätig
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Maria, geboren in Mexiko, von Beruf Sekretärin und 1984 wegen Heirat in die BRD gekommen
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Sarah, geboren in Italien und 1973 als Kind einer Gastarbeiterfamilie in die BRD gekommen, heute Geschäftsfrau
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Roberta, geboren in Italien und 1964 als Kleinkind einer Gastarbeiterfamilie in die BRD gekommen, heute Hausfrau
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Olga, geboren in Polen (Schlesien) und 1981 als Erwachsene zu ihrem Vater in die BRD gekommen, heute Rentnerin
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Maria, geboren in Chile, 1974 ins Exil in die BRD gekommen, heute als Sprachlehrerin tätig
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Mauerfall mit Migrationshintergrund – Interview mit Sarah

Impressionen aus dem Interview mit Sarah, geboren in Italien und 1973 als Kind einer Gastarbeiterfamilie in die BRD gekommen, heute Geschäftsfrau

Die ersten Eindrücke
Wir waren sehr euphorisch und neugierig, Deutschland kennenzulernen, die Traurigkeit kam später: Ohne die sizilianische Sonne, das Meer, das Gelb von den Zitronenbäumen. Was mich beeindruckt hat war, dass ich viele Leute getroffen habe, die aus verschiedenen Orten aus Italien kamen, ein Ghetto, eine italienische Familie. Die wussten, wo man einkaufen konnte und dass Kartoffeln das typische deutsche Gericht waren. Heute sage ich ganz ehrlich, es wäre besser gewesen, wenn wir zwischen deutschen Familien gewohnt hätten. Kontakt zu deutschen Freunden kam später. Und mit der Schule? Katastrophe, ich war im Rabenberg in einer Integrierungsschule, alles italienisch, da hab ich deutsch erst spät gelernt. Hänselei gab es so bisschen. Aber wir haben das nie so wirklich ernst genommen. Bei der Arbeit hab ich Glück gehabt, dass bei der Commerzbank Personal gesucht wurde. Aber heute sage ich, es wäre besser gewesen, wenn ich damals eine Ausbildung gemacht hätte.

Und heute
Ich vermisse Treffen auf der Piazza, italienische Geschäfte, ich lebe hier, seit wie vielen Jahren, es ist schön, aber ich habe sizilianisches Blut. Wenn ich natürlich einen Lebensstandard hätte in Italien wie hier, würde ich es machen, gehen, sage ich ganz ehrlich. Das tut mir wirklich leid, dass so ein Land, so ein schönes Land nicht in der Lage ist, auch eine gute Regierung zu haben. Aber heute sage ich immer, wir sind froh, hier zu sein und dass es uns so gut geht. Wir haben natürlich auch was dafür getan, mein Mann und ich. Wir haben uns selbständig gemacht mit Wein. Er hat hier wirklich was hinterlassen und deswegen gehen wir weiter. Das ist unsere Existenz. Meine Kinder.

Über den Mauerfall
Die DDR und der Sozialismus – nein, da war ich zu jung und das hat mich kaum interessiert. Wir haben gesehen, dass da viele Deutsche rüberkamen. Und ich sage Ihnen ganz ehrlich, ich habe mich sehr gefreut. Wir haben bisschen die Geschichte verfolgt von diesen Menschen, wie traurig das Ganze war. Als diese Mauer gefallen ist, fand ich das sehr schön, dass die Familien wieder zusammen waren. Sicherlich dann hat man gehört, jetzt muss Republik Deutschland viel Geld zahlen. Aber gut, was soll ich dazu sagen. Wir haben nur gehört damals, dass, Kohl war das, er gesagt hat im Fernsehen, ich werde euch zusammen bringen. Aber ein Stück von der Mauer wollten wir haben.

Die Ostdeutschen im Westen
Damals habe ich in der Sparkasse gearbeitet und jeder sollte 100 DM bekommen. Und da waren schlangenweise Leute in der Sparkasse, die das Geld ausgezahlt bekamen. Und ich kann mich erinnern, dass viele auch bisschen sauer waren.
Man hat gesehen, die Leute waren anders. Man merkte, dass diese Leute gelitten hatten. Schön fand ich auch diesen Akzent. Und ich fand auch sehr viele Leute, die sehr freundlich waren, z.B. da haben sie von uns den Kühlschrank gekauft und uns selbstgemachte Leberwurst mitgebracht und das fanden wir super, dass sie uns was gegeben haben, was sie selber gemacht haben. Ich schätze diese Leute sehr. Ich habe viele kennengelernt und ich muss sagen, diese Leute tun viel.
Einmal kamen Leute aus der Partnerstadt von Pesaro Urbine und man hat ihnen die Grenze gezeigt, da fing die Frau von dem Direktor der Sparkasse an zu weinen und zu sagen, wie schlimm das war, wo sie alle getrennt waren.

Was Besonderes aus der DDR
Positiv finde ich, dass wir in die neuen Bundesländer reisen können. Wir haben uns gefreut, mal andere Orte kennenzulernen.

Transkription des kompletten Interviews mit Sarah (PDF)

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Mauerfall mit Migrationshintergrund – Interview mit Roberta

Impressionen aus dem Interview mit Roberta, geboren in Italien und 1964 als Kleinkind einer Gastarbeiterfamilie in die BRD gekommen, heute Hausfrau

Die ersten Eindrücke
Ich war ein Baby, meine Mutter war noch sehr jung, 17 Jahre alt, klar war‘ s schwer. Keine Sprachkenntnisse, aber sie hat schnell deutsch gelernt und nur gute Erfahrungen gehabt in Deutschland. Sie wollte nach dem Urlaub auch immer wieder zurück. Mein Vater weniger. Er war immer Arbeiten. Der kann heute noch ganz schlecht deutsch sprechen. Aber er versteht alles. Zuerst ist ein Bruder von meinem Vater hergekommen und hat ihnen eine Wohnung besorgt. Das war alles eine italienische Gemeinschaft. Bis neun Jahre konnte ich kein Wort deutsch.Von der Integrationsschule wurde man sofort in eine deutsche Schule katapultiert und ich konnte kein Wort deutsch. Ich wurde ein bisschen gehänselt aber später ging‘ s. Ich bin gut integriert, jetzt essen alle mittlerweile Spaghetti und Pizza (lacht). Ich bin aus der Schule raus, habe bei Aldi gearbeitet, habe im Werk einen Lehrgang gemacht. Und dann habe ich ganz früh geheiratet. Von Fremdenfeindlichkeiten haben wir gehört. Auch von Italienern. Aber viele haben sich das auch selber zuzuschreiben, wie sie sich benommen haben. Ist klar, dass es dann auch so zurückkommt.

Und heute
Man verändert sich auch so als Mensch. Wenn ich manchmal die Fotos sehe, lache ich mich tot. Die Eltern haben sich auch versucht immer anzupassen. Aber für meine Eltern war Italien immer die Heimat, die hatten vor, wieder zurückzugehen. Aber im Laufe des Lebens haben sie ihr Gedankengut verändert. Durch die Kinder haben sie beschlossen, hier zu bleiben. Sie waren drei Monate in Italien und dann immer glücklich, zurück zu sein. Meine Mutter liegt ja auch hier auf dem Friedhof. Sie wurde nicht überführt.

Über den Mauerfall
Ich wusste nur, dass es eine DDR gab, die habe ich aber nicht gesehen, also vor dem Mauerfall. Und danach haben wir eigentlich nur viele Trabis hier gesehen. Aber wir haben uns riesig gefreut. Ich fand das sehr schön, dass Deutschland wieder so vereint war. Ganz Wolfsburg war überlagert. Trabis, Trabis, Trabis. Ich konnte das nie begreifen, dass Deutschland so geteilt war. Wie die Mauer da gebaut wurde und die Leute sich aus dem Fenster geschmissen haben. Meine Eltern haben sich überhaupt nicht drum gekümmert. Die haben immer am Samstag Radio verfolgt. Italienische Lieder und Nachrichten. Das weiß ich noch ganz genau. Wie sich Wessis und Ossis in den Arm genommen haben ohne sich zu kennen und geheult haben, das war echt bewegend.

Die Ostdeutschen im Westen
Ja also das ist hier eine Leistungsgesellschaft und früher da nicht. Die waren da alle geborgen, dann waren sie hier verloren. Ellenbogengesellschaft, wer kann, wer schafft. Klar hat man dann viel rumgenörgelt. Auch vom Westen her, die dachten sich ja, jetzt kommen sie alle her und klauen uns die Arbeit, war ja auch so. Auch mit den Rentenzahlen, die hatten drüber nicht gezahlt und jetzt wurde das von unseren Kassen bezahlt. Da hat man sich genervt gefühlt hat. Seid froh, dass jetzt die Mauer gefallen ist. Man muss ja auch die Vorteile sehen. Man ist ein freier Mensch, man kann reisen wohin man will, man kann sein Leben gestalten wie man möchte, man kann seine Meinung äußern, das war ja bei denen nicht erlaubt. Da können die mir nicht erzählen, dass es früher besser war. Und die Ostdeutschen waren nicht so gut auf Ausländer zu sprechen. Zuerst war es schlimmer. Man hat das gespürt. Ja und dann irgendwann mal hat sich alles geglättet und alles ist eins geworden.

Was Besonderes aus der DDR
Rotkäppchen-Sekt haben wir von drüben, jetzt gibt es den hier. Haben wir auch zu schätzen gelernt.

Transkription des kompletten Interviews mit Roberta (PDF)

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Geschichten in der Einwanderungsgesellschaft

Projektname: Geschichten in der Einwanderungsgesellschaft – Erinnerung in der neuen Heimat

Institution: Multikulturelles Zentrum Dessau e.V. in Kooperation mit der Auslandsgesellschaft Sachsen-Anhalt e.V. und der Landeszentrale für politische Bildung

Projektleiter: Armin Bethke, M.A. Politikwissenschaften

Ort: Magdeburg, Dessau-Roßlau

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