Mauerfall mit Migrationshintergrund

Impressionen aus Interviews mit Migrantinnen (Juli 2014)

Im Folgenden werden Impressionen aus qualitativen Interviews mit Migrantinnen zum Mauerfall überblicksartig vermittelt. Die Aussagen sind hier zusammengefasst und im Stil wörtlicher Rede wiedergegeben. Es handelt sich dabei nicht um die Originalsätze, sondern deren sinngemäße Wiederspiegelung. Die wortwörtlichen Originalaussagen sind in den leicht überarbeiteten Transkripten nachzulesen.
Die Interviews wurden im Sommersemester 2014 von drei Studentinnen im Rahmen des Seminars „Qualitative Sozialforschung“ an der Leibniz Universität Hannover durchgeführt.

Gabriela, geboren in Griechenland, 1978 zum Studium in die BRD gekommen & heute als Übersetzerin tätig
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Maria, geboren in Mexiko, von Beruf Sekretärin und 1984 wegen Heirat in die BRD gekommen
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Sarah, geboren in Italien und 1973 als Kind einer Gastarbeiterfamilie in die BRD gekommen, heute Geschäftsfrau
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Roberta, geboren in Italien und 1964 als Kleinkind einer Gastarbeiterfamilie in die BRD gekommen, heute Hausfrau
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Olga, geboren in Polen (Schlesien) und 1981 als Erwachsene zu ihrem Vater in die BRD gekommen, heute Rentnerin
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Maria, geboren in Chile, 1974 ins Exil in die BRD gekommen, heute als Sprachlehrerin tätig
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Mauerfall mit Migrationshintergrund – Interview mit Maria (Chile)

Impressionen aus dem Interview mit Maria, geboren in Chile, 1974 ins Exil in die BRD gekommen, heute als Sprachlehrerin tätig

Der erste Eindruck
Es war eine andere Gesellschaft. Ich habe zwei Vorteile gehabt. Als Teenie zwei Jahre in der USA. Ich war so im Herzen die Löwin. Ich kenne den american way of life sehr gut und ich habe Soziologie und Anthropologie studiert. Dadurch respektiere ich jedes Land. Ich habe nicht das Recht, als Ausländerin zu sagen, aber so muss es nicht sein, ich weiß viel besser als du.
Ich bin nicht Migrantin. Migranten bedeutet eine freiwillige Entscheidung. Und als ein Exilierter musst du sehen, wo kannst du angenommen werden und wo kannst du überleben. Es ist egal welches Land. Ein Migrant sucht sich ein Land aus und hat Träume. Heutzutage nimmt Deutschland keine, ganz wenig Exilierte mehr. Aber ich kann mich wirklich nicht beschweren, es war hier eine goldene Zeit. Die SPD war an der Macht und hat große Kontingente angenommen.Vielleicht ich muss dazu sagen, ich bin nie eine Anhängerin der DDR gewesen, nie Kommunistin.

Und heute
Als ich realisiert habe, ich hätte keine andere Möglichkeit gehabt als hier zu bleiben, wollte ich besser die sogenannte deutsche Mentalität kennenlernen und durch die beiden, Luther und Hannah Ahrendt habe ich mich mit der deutschen Mentalität befreundet. Wenn du nicht akzeptiert du sollst weg gehen. Also ich habe angefangen auch alleine die Sprache zu lernen. Ich mache mehrere Fehler, aber das ist mein Kennzeichen als Ausländerin. Ich wollte nicht eine Deutsche werden.

Über den Mauerfall
Ich war in Chile, habe es durch die Nachrichten gehört. Damals die Leute haben sich gefreut. Sowohl die linke als die rechte. Weil es war das Ende der Diktatur, nein nicht Diktatur, aber sie haben den Vergleich mit Chile gemacht. Später in Santiago haben wir ein „soziales Treffen unter Freunden“, so haben wir es für den Geheimdienst gesagt, gemacht und ich habe das erste Mal den Bericht von den Leuten, die in der DDR gelebt haben, gehört. Die waren meistens Kommunisten und als die Wendung gekommen ist, die Leute haben sich sehr unsicher gefühlt. Weil die netten Nachbarn von links und rechts, sie haben an die Tür geklopft, nicht um guten Morgen zu sagen, sondern sie wurden beschimpft, gehen sie zurück. Schmarotzer. Und ich saß auf meinem Bett und habe mich gefragt, was nun? Ich bin in einem Land schon mehrere Jahre und in meinem Land ich habe schon den Faden verloren. Und das hat mich sehr traurig und sehr unsicher gemacht.

Eindrücke über die Zeit danach
Es war eine große Empörung für mich bis heute, die Privilegien, die die oberere politische Schicht gehabt haben. Honecker war, glaube ich, nicht schlimmer als andere Diktatoren, er war ein typischer kommunistischer Leiter, Führer, Schluss aus, im Namen der Diktatur des Proletariats. Und die Chilenen sind sehr frustriert gewesen. Die mussten eine gute Position in der DDR und ein luxuriöses Leben hinterlassen und sind praktisch mit 23, 25 Kilo damals nach Hause.
Was feiern wir hier eigentlich? Die Vorurteile von 25 Jahren über die Ostdeutschen sind heute immer noch präsent. Wie lange braucht heute noch die Gesellschaft? Ich mache auch Vergleiche mit diesem Nationalsozialismus. Ich bin Ausländerin, ich muss das nicht verstehen. Damals wurde nicht über Ausländer gesprochen. Heutzutage ja – sogar unter den Jungen. Ich habe keine schlechte Erfahrung gehabt. Wenn ich den Mund zu habe, denkt man sogar, dass ich Europäerin bin, Italienerin, Spanierin. Aber es gibt eine sehr andere nette Art von Rassismus. Die Bewegung in der Nazi-Szene ist größer geworden. Und wenn die Arbeitslosigkeit schlimmer ist, was sollten die Leute feiern? Nochmal eine Lüge? Traurigerweise, sogar die jungen Leute trauen sich nicht, irgendwas Schönes anhand ihres ehemaligen Lebens in der DDR zu sagen. Weil er wird total schief angeguckt und als Kommunist bezeichnet. Diese Geschichte zweite Klasse Bürger steckt noch drin. Sie möchten der Welt zeigen, sie sind nicht faul. Ich als Chilenin habe gelernt, das Leben mit Humor zu nehmen. Und ich denke ihr, die neue Generation, habt das Sagen.

Transkription des kompletten Interviews mit Maria (PDF)

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