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Einwanderung in die BRD vor 1990

Projekte: Geschichten in der Einwanderungsgesellschaft – Erinnerung in der neuen Heimat

Zeitzeugen: Razak Minhel

Tags: Anwerberstopp, Gastarbeiter, Familienzusammenführung, Aussiedler, Vertriebene, Arbeitsmigration, Flüchtlinge

Die Einwanderung in die BRD der Nachkriegszeit war zunächst durch ein ungesteuertes Wanderungsgeschehen der Vertriebenen und Kriegsflüchtlinge gekennzeichnet. Das änderte sich durch die ab 1955 angeworbenen ausländischen Arbeitnehmer die maßgeblichen Einfluss auf die historisch gewachsene und eine durch den Nationalsozialismus weites gehend homogenisierte Gesellschaftstruktur Deutschlands hatten und haben. Deutschland definierte sich lange Zeit über Volkszugehörigkeit sowie einen auf  kultureller und gesellschaftlicher Einheit basierendem Nationalstaat.  Zwar bestätigte der Wanderungszuwachs nach 1945 eine Einwanderungstradition,  jedoch wurde diese lange Zeit verneint und abgewiegelt, wobei das tatsächliche Ausmaß der Zuwanderung ignoriert wurde. Die weit verbreitete Annahme, Einwanderung stelle einmalige und einseitige Begebenheit mit dauerhafter Seßhaftwerdung, blockierte die Ausprägung von Integrationskonzepten und einer alltagsweltlichen Wahrnehmung von Zuwanderung als gesellschaftlichem Sachverhalt. Trotz der zahlenmäßigen Stärke der Gruppe der Vertriebenen und Flüchtlinge konzentrierte sich die  Zuwanderungsdebatte weites gehend auf die als „Gastarbeiter“ -Frage thematisierte Arbeitsmigration. So fand eine unterschiedliche Behandlung der Zuwanderungsgruppen statt, die wesentlich politisch und wirtschaftlich bedingt war. Die „Instrumentalisierung des Ausländerproblems“ (Schulte 2009: S.23) bestimmte die politische Kultur und erwies sich als Trend setzend für die Entwicklung  rechtlicher Rahmenbedingungen und der Ausformung von Verfahrenslogiken bei der Arbeitsmarktintegration von Zuwanderern. Migrationspolitik der 1950er und 1960er Jahre war daher lediglich eine Funktion damaliger Arbeitsmarktpolitik, in der Ausländerbeschäftigung als eine vorübergehende Erscheinung betrachtet wurde. Dieser wurde ein Rotationsmodell zu Grunde gelegt, nachdem ausländische Arbeitnehmer als eingesetzt und bei Notwendigkeit auch wieder in ihr Heimatland zurückgeschickt werden konnten. Bundesdeutschland begriff sich als Auswanderungsland und fasste Zuwanderung als einen befristeten Zustand auf. Integrationsbemühungen jeglicher Art blieben aus. Diese Haltung drückte sich in der separierten Unterbringung der ausländischen Arbeitskräfte oder der Verwendung des  Abwehrbegriffs“„Gastarbeiter“ ausdrückte und sah den Umgang mit Zuwanderung durch das „Wirtschaftswunder“ bestätigt.

Eine Zäsur im bisherigen Wanderungsgeschehen ergab sich in Folge des Anwerberstopps. Dieser wurde von einer Ausweitung wirtschaftlicher, politischer und sozialer Probleme  in Form des rückläufigen Wirtschaftswachstums und der Verfestigung von Arbeitslosigkeit begleitet. Zwar veranlasste die Rezension viele Gastarbeiter in ihre Heimat zurückzukehren, jedoch waren die günstigen Arbeitskräfte für die deutsche Wirtschaft unverzichtbar geworden. Die Arbeitgeber lehnten einen regelmäßigen Austausch der Arbeitnehmer unter Kostenerwägungen ab. Statt dem Rotationsprinzip verfolgten sie das Ziel der Aufenthaltsverfestigung der ausländischen Arbeitnehmer, da diese „überdurchschnittlich gut in den Arbeitsmarkt integriert“ waren. Dem Rückgang der Ausländerbeschäftigung durch den Abbau von ca. einer Million Jobs im Zuge der Energie- und Wirtschaftskrise und der vorhergesehenen Remigration der Gastarbeiter, standen deren Niederlassung und der Wechsel von Arbeits- zur Familienmigration gegenüber.

Im Zuge der Ansiedlung Familienangehöriger, fand eine zunehmende gesellschaftliche Inkorporation der Zuwanderergruppe statt, die zwar an den sozialen und zivilen Rechten teilhaben konnte, der jedoch politische Partizipation in Abhängigkeit ihres Aufenthals- und Einbürgerungstatus verwehrt blieb.

Literatur:

Schulte, A: Einwanderungsgesellschaft Deutschland. Wege zu einer sozialen und gerechten Zukunft in: Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung: W. (Ed.) Politikkonzepte für eine multikulturelle Einwanderungsgesellschaft., Friedrich-Ebert-Stiftung, S. 17-45


Einwanderung in die DDR

Projekte: Geschichten in der Einwanderungsgesellschaft – Erinnerung in der neuen Heimat

Zeitzeugen: Razak Minhel

Tags: Vertragsarbeitnehmer, Bruderhilfe, Montagsdemonstrationen, Staatssicherheitsdienst, SED, Arbeitsmigration, Studenten

In allen neuen Bundesländern, ist a die Zuwanderung durch eine regionalspezifische Entwicklung geprägt, die von der westdeutschen deutlich abweicht. Die vorherrschenden Integrationsbedingungen lassen sich auf eine Reihe historischer und struktureller Ursachen zurückführen, welche den Ausgangspunkt der Integrationspolitik des Landes Sachsen-Anhalt darstellen. Der bedeutsamste Punkt ist die unterschiedliche Geschichte der Zuwanderung. Die alten Bundesländer blicken, trotz der Kontinuität ihrer restriktiven Migrationspolitik, auf eine langjährige Zuwanderungstradition zurück. Diese Tradition fehlt in den neuen Bundesländern, da Zuwanderung hier im Wesentlichen erst ab 1990 stattfand  Von Anfang an  war das Leben in der DDR nicht von Zuwanderung und Vielfalt, sondern von Abwanderung und Einheitlichkeit geprägt. Statt Pluralisierung und Öffnung, herrschte in Ostdeutschland eine weitgehende Homogenisierung. Für die Gesellschaft der DDR spielte Zuwanderung keine mit Westdeutschland vergleichbare Rolle. Statt der Erfüllung ökonomischer Funktionen wie in der westdeutschen Marktwirtschaft, war die Zuwanderung politischer Flüchtlinge oder Studenten und Auszubildender ein politisches Instrument, dass die Unterstützung der jeweiligen Herkunftsländer symbolisieren sollte  Eine mit Westdeutschland vergleichbare Arbeitsmigration, fand in viel geringerem Maße durch die Zuwanderung von Vertragsarbeitnehmern aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Vietnam, erst unmittelbar vor der Wiedervereinigung statt. Die Regierung achtete stark auf die strikte Trennung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer und sanktionierte dabei jede Art der Zuwiderhandlung. Das Rotationsprinzip wurde äußerst streng ausgelegt und auch eine Familienzusammenführung wie in Westdeutschland fand nicht statt. Im Falle von Schwangerschaften unter den weiblichen Arbeitnehmern bestand Ausreisepflicht. Die Arbeits- und Lebensbedingungen wurden durch Rahmenrichtlinien reguliert. Das Ausländergesetz der DDR erlaubte sogar ohne Begründung das Aufenthaltsrecht zu entziehen. Durch diese Segregation wurde der Alltagskontakt zwischen den Bevölkerungsgruppen weitestgehend unterbunden. Dass dadurch nur „wenige Berührungspunkte zu fremden Kulturen“ (Leitbild Integration des Landes Sachsen-Anhalt, 2005) existierten, verhinderte die gesellschaftliche Thematisierung der Zuwanderung.

Literatur:

Leitbild zur Entwicklung von Zuwanderung und Integration in Sachsen-Anhalt, 2005


Einwanderung in das wiedervereinte Deutschland ab 1990

–       Einwanderung in die alten Bundesländer ab 1990

–       Einwanderung in die neuen Bundesländer ab 1990


Einwanderung in die alten Bundesländer nach 1990

Projekte: N.N.

Zeitzeugen: N.N.

Tags: Asylrecht, Aufenthaltsgesetz, Zuwanderungsgesetz, Arbeitsmigration, Nationaler Integrationsplan, Willkommenskultur, Erinnerungskultur, Spätaussiedler, Flüchtlinge

Im Jahre 1987 kam es mit der politischen Öffnung in Osteuropa zu einer erneuten Zunahme von Wanderung, bis sich die Irreversibilität der unbeabsichtigten Einwanderungssituation mit der Öffnung Osteuropas ab 1989 endgültig offenbarte.   Vor dem Hintergrund zunehmender Flüchtlingsbewegungen zu Beginn der 1990er Jahre, wuchsen mit den Zuwanderungszahlen die Probleme für  städtische Ballungsgebiete und Kommunen. Bis 1988 waren bereits 1,6 Millionen Aussiedler in das Land gekommen. Angesichts der steigenden Einwanderungszahlen durch Aussiedler aus den ehemaligen Staaten der Sowjetunion wurde durch die Kontingentierung eine weitere Beschränkung der Zuwanderung veranlasst. Der damalige Bundeskanzler Kohl sprach angesichts der wachsenden kommunalen Belastungen sogar von einem „Staatsnotstand (Nuscheler, Apparat Hasenkamp S.148; siehe auch: 1 | 2) in Migrationsfragen« um in Form des Asylkompromisses, mit der faktischen  Abschaffung des Grundrechts auf Asyl die aus der Zuwanderung entstandende Belastungen zu schmälern. Die Beschränkung des Asylrechts stellte im Hinblick auf den gleichzeitigen Konsens zur Arbeitsmigration ein weiteres Beispiel der zuvor angesprochenen gesellschaftlichen Paradoxie in Zuwanderungsfragen dar.

Die Aggressivität gegenüber Ausländern fand im Lichte gewalttätiger Übergriffe auf Asylbewerber einen traurigen Höhepunkt. Da der Einwanderungsdiskurs weiterhin an „nationale Traditionen, Ängste und Sendungsvorstellungen“ anknüpfte blieb auch die bundesdeutsche Integrationsdebatte in den restlichen 1990er Jahren durch Negation beherrscht.

Unter der rot-grünen Bundesregierung fand ab 1998 ein Wandel der bisher problemorientieren Betrachtung der Zuwanderung statt. Die Einführung des auf dem Geburtsort basierenden Staatsangehörigkeitsrecht und der „Green Card“ im Sommer 2000 waren von einem Perspektivenwechsel und der Betonung der sich aus Zuwanderung ergebenden Chancen geprägt. Neben der Staatsangehörigkeitsdebatte, stellte die Lockerung des Anwerbestopps ein Eingeständnis der Einwanderungsrealität und ein Bekenntnis zur ökonomischen Notwendigkeit der Zuwanderung. Das Konzept der „Süßmuth-Kommission“ betonte die Erforderlichkeiten arbeitsmarktbezogener Zuwanderung und ebenete so den Weg für eine Reform des Ausländergesetzes.

Mit dem im Juni 2002 vorgestellten Zuwanderungsgesetz, sollte erstmals eine rechtliche Grundlage für Zuwanderung in die BRD geschaffen werden, die eine Anerkennung als Einwanderungsland bedeutet hätte, wobei das tatsächliche Regierungsziel jedoch in klaren und transparenten Regelung statt einer tatsächlichen Erhöhung der Zuwanderung lag.  Die Ereignisse um den 11.09.2001 und Parteikalkül ließen eine entsprechende politische Öffnung jedoch zunächst ausbleiben. Das Inkraftreten des neuen Zuwanderungsgesetztes im Jahre 2005 wurde schließlich von rückläufigen Zuwanderungszahlen und veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen begleitet. Nach heftigen Auseinandersetzungen über die sichtbar werdenden Nachteile eines kurzfristigen Aktionismus in Zuwanderungsfragen, wurde die Notwendigkeit einer Neuorientierung deutlich.  Die Anwendung des Begriffs „Einwanderer“ im Gesetzestext zum „Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern“ etablierte mit der Kompetenzzuschreibung für das BAMF zwar eine zentrale Steuerstelle und mit dem Integrationsprogramm nach §45 AufenthG eine einheitlichen Ausgangspunkt für den Integrationsprozess von Zuwanderern, jedoch blieben die Aufgaben der Aufnahmegesellschaft dabei unspezifisch. Die Zuwanderungsdebatte blieb von wirtschaftlichen Motiven bestimmten und blendete politische, rechtliche und soziale Teilhabe für Migranten weiterhin aus.

Literaturhinweis:

Flam, Helena: Migranten in Deutschland. Statistiken – Fakten- Diskurse, UVK Verlagsgesellschaft, 2007


Einwanderung in die neuen Bundesländer nach 1990

Die Wendezeit brachte eine Zäsur im Wanderungsgeschehen der neuen Bundesländer, welche die durch die sozialistische Gesellschafspolitik geprägten neuen Bundesländer vor große Herausforderungen stellte. Mit der Übertragung von Bundesgesetzen, kam es durch den Zuzug neuer Zuwanderergruppen zu einer Neudimensionierung des ostdeutschen Migrationsgeschehens. Das aufgrund des fehlenden Diskurses nur gering ausgeprägte Alltagsverständnis für fremde Kulturen kollidierte mit der außerordentlichen Vielfalt der Neuzuwanderer. Der ehemalige Ausländerbeauftragte der Landesregierung wies 2003 auf die Zusammensetzung der Zuwandergruppe als Besonderheit der neuen Bundesländer hin.

Die Ursache dieser Heterogenität liegt in der Art der Zuwanderung nach Sachsen-Anhalt. Diese geschieht seit der Wiedervereinigung hauptsächlich durch Zuweisung1, was aufgrund der Tatsache, dass viele Zuwanderer unfreiwillig ins Land kommen, eine hohe Fluktuation im Wanderungsgeschehen zur Folge hat. Zuwanderer in den ostdeutschen Ländern sind durchschnittlich kürzer in Deutschland, da sie häufig nicht über einen gesicherten Aufenthaltstitel verfügen. Asylbewerber, jüdische Zuwanderer und Spätaussiedler, die durch die Zuweisung ins Land kommen, verlassen es aufgrund familiärer Bindungen oder der schwierigen Arbeitsmarktlage häufig nach Erlangen der Freizügigkeit wieder.

Anders als in Westdeutschland haben sich aufgrund dieser strukturellen Merkmale keine ethnischen Ballungszentren herausgebildet. Dadurch wurde Integration lange Zeit nicht als gesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen und eine Auseinandersetzung mit den damit einhergehenden Problemen blieb aus. Trotz ihres geringen zahlenmäßigen Aufkommens, häuften sich in der Nachwendezeit gewalttätige Übergriffe auf Zuwanderer. Vor dem Hintergrund aufkeimender Fremdenfeindlichkeit unterstützte das Land Sachsen-Anhalt daher ab den 1990er Jahren interkulturelle Begegnungszentren und setzte damit verstärkt auf eine Sensibilisierung der öffentlichen Wahrnehmung. Während die westdeutsche Zuwanderungsdebatte die folgenreiche Dynamik einer ungesteuerten Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland thematisiert, entfaltet sich diese Problemlage für die neuen Bundesländer komplett gegenteilig. „Ostdeutschland ist ein Land der Abwanderung und die Abwanderung hat sich in den meisten ostdeutschen Regionen in der letzten Zeit noch verschärft“ (Weiss 2010: 39).

Literatur:

Weiss, K: Neue Bildungsansätze für die Einwanderungsgesellschaft. Erfahrungen und Perspektiven aus Ostdeutschland. In: Weiss, K. & Roos, A. (Eds.): Migration, Integration und Bildung im Land Brandenburg, Lambertus Verlag, , 37-67


Erinnerung und Zugehörigkeit

Projekte: Geschichten in der Einwanderungsgesellschaft – Erinnerung in der neuen Heimat, Mauerfall mit Migrationshintergrund, 25 Jahre Mauerfall – 25 Jahre geteilte Geschichte. Migrant_innen aus Ost und West erinnern sich

Tags: Erinnerungskultur, Teilhabe, Einwanderungsgesellschaft

Den Zusammenhang zwischen kollektiver Erinnerung und Zugehörigkeitsgefühl thematisierte der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau 2002 in einer Rede zur Erinnerungskultur: „Was bedeutet Geschichte als Quelle für Identifikation und Identität in einer Gesellschaft, in der Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft und Kultur zusammenleben? Wie kommt es zu einem ‚wir’ in einer solchen Gesellschaft? Muss es viele Geschichten geben oder müssen sich die vielen die eine Geschichte zu eigen machen?“

Damit stellt er auch klar: Geschichte ist rekonstruierte Vergangenheit – sie wird keineswegs objektiv geschrieben, sondern ist ein Auswahl- und Deutungsprozess, in dem sich gesellschaftliche Machtverhältnisse spiegeln. „Die Frage der Teilhabe von Migranten an der Erinnerung sowie die Frage der Repräsentation und Integration der „eigenen“ Geschichte(n) im Kontext der Narrative der Mehrheitsgesellschaft (Nation)“ wird zu einem „zentralen identitäts- und geschichtspolitischen Thema“ (Georgi, Viola B. (2008): In Geschichte(n) verstrickt: Biographische Geschichten als Gegenstand interkulturellen Lernens in der Migrationsgesellschaft, in: Lange, Dirk (Hg.): Migration und Bürgerbewusstsein. Wiesbaden. 137). Sie entscheidet (mit) über Identität und Zusammenhalt der Gesellschaft. Erinnerungspolitik ist also kein Randthema sondern gehört zu den wichtigen Feldern der Auseinandersetzung in pluralen Gesellschaften.

Die Erinnerung von Migrantinnen und Migranten ist als Teil der deutschen Geschichte oft nicht oder ausschließlich als „Sonderthema“ präsent. Gerade wenn von den gesellschaftlichen Umbrüchen 1989/1990 die Rede ist, dominiert eine „deutsch-deutsche“ Perspektive. Die teilweise sehr verschiedenen Sichtweisen von Eingewanderten finden bisher kaum Eingang in die Gedenkfeierlichkeiten und Geschichtsbücher, obwohl sich mit dem Fall der Mauer ihre Lebensbedingungen – ökonomisch, rechtlich, sozial – teilweise drastisch veränderten: Viele Eingewanderte, die sich bis dato als Deutsche verstanden, mussten sich – so die Migrationsforscherin Nevim Çil – neu definieren. Denn der Fokus auf „Deutschsein“ im Sinne einer Herkunfts- und Kulturgemeinschaft sollte zur Überwindung der jahrzehntelangen Teilung des Landes beitragen. Allerdings verschärfte diese Orientierung auf eine „nationale Einheit“ insbesondere in Verbindung mit den gewalttätigen Übergriffen in vielen Orten in Ost und West bei Einwanderinnen und Einwanderern das Gefühl des Ausschlusses, das bis heute nicht vollständig überwunden ist.
Die vielen Geschichten und Perspektiven aufzugreifen und in einen gemeinsamen Diskurs einzubinden, ist notwendig, damit Erinnerung nicht mehr nur als „Vorrecht für Angehörige aus der Mehrheitsgesellschaft“ (Nevim Çil) wahrgenommen wird. Nur so können wir ein „inklusives“ deutsches Narrativ entwickeln, das national geprägte Denkmuster reflektiert und damit Rassismus und Ausgrenzung entgegenwirkt.


Repräsentation und Teilhabe am „Geschichte-Machen“

Projekte: Geschichten in der Einwanderungsgesellschaft – Erinnerung in der neuen Heimat, Mauerfall mit Migrationshintergrund, 25 Jahre Mauerfall – 25 Jahre geteilte Geschichte. Migrant_innen aus Ost und West erinnern sich

Tags: Erinnerungskultur, Teilhabe, Einwanderungsgesellschaft

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Einwanderungsland – dieses Selbstverständnis ist inzwischen ebenso unbestritten wie die Notwendigkeit von Partizipation, Interkultureller Öffnung und Diversity-Management. Ungleichheitsstrukturen sind damit aber nicht abgeschafft. Für Einwanderer und Einwanderinnen und deren Nachkommen sind die Zugangsmöglichkeiten zu entscheidungstragenden Institutionen weiterhin beschränkt, in der Legislative und der Exekutive sind sie kaum repräsentiert. Dieser Ausschluss wirft grundlegende Legitimationsfragen auf, denn eine Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen Repräsentierenden und Repräsentanten gewährleistet ist: „Was alle betrifft, bedarf der Zustimmung aller“ – das wussten schon die alten Römer.

Dies gilt auch für die Repräsentation von verschiedenen Geschichtsdeutungen. Obwohl Einwanderungsprozesse das Gesicht beider Nachkriegsdeutschlands tiefgreifend verändert haben, kommen die Sichtweisen der Eingewanderten kaum vor. Am Beispiel „Mauerfall und deutsche Einheit“ lässt sich diese Leerstelle besonders deutlich erkennen. Die Bilder und Gedenkveranstaltungen zum 25. Jahrestag vermittelten eine weitgehend eindimensionale Sicht auf das Ereignis. Dies verhindert – oder zumindest – erschwert die Identifikation der Minderheiten mit dem neuen Deutschland.

Die Aufgabe ist, über konstitutive Ereignisse wie die Einwanderung in einen gemeinsamen Aushandlungsprozess von Autochthonen und Allochthonen in Ost und West zu treten, der die verschiedenen Perspektiven und Deutungen aufgreift und darüber eine „gemeinsam geteilte“ Erzählung entsteht, die möglicherweise auch über das Nationale hinausgeht.
Dabei müssen sich auch die Institutionen verändern, in denen Geschichte „geschrieben“ wird: Museen, Medien, Bildungsinstitutionen. Das Nach- und Umdenken über Geschichtsbilder und multiperspektivische Darstellungen steht dort erst am Anfang. Bei der Entwicklung anderer Repräsentationsformen ist neben der Beteiligung von Menschen mit MigrantInnenperspektive auch die Kooperation mit Migranten(selbst)organisationen unerlässlich.

Voraussetzung für einen gemeinsamen Aushandlungsprozess ist jedoch eine Verhandlungsposition, in der die Beteiligten über gleiche Rechte verfügen. Diese wiederum sind hierzulande meist an die Staatsangehörigkeit gekoppelt. Ein offenerer Zugang zur Staatsbürgerschaft und damit eine Anerkennung der Zugehörigkeit wäre gleichbedeutend mit einer Stärkung der Demokratie. Denn erst mit der rechtlichen Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft sind auch die weiteren Rechte des Individuums gewährleistet.
Integration ist sinnlos ohne Teilhabe an der Macht. Wenn ich von Integration spreche, dann meine ich eine wirkliche Aufteilung von Macht und Verantwortung. (Martin Luther King)